Polizistin Sadie Sparrow hat sich aufgrund beruflicher Schwierigkeiten Urlaub verordnet und fährt zu ihrem Großvater Bertie, der nach dem Tod seiner Frau nach Cornwall gezogen ist. Auf einem ihrer täglichen Joggingläufe führen die Hunden sie zu einem verwilderten Garten. An einem See steht dort ein verwunschenes Herrenhaus. Ein Blick durch die verschmutzten Fenster zeigt, dass es im Dornröschenschlaf liegt. Offensichtlich wurde es samt Einrichtung vor Jahrzehnten verlassen und nie mehr betreten. Sadie ist fasziniert und informiert sich über die Geschichte des Anwesens Loeanneth. Dabei erfährt sie, dass der kleine Sohn der Familie Edevane auf mysteriöse Weise während eines Mitsommerfests in den Dreißiger Jahren verschwand und sein Schicksal nie aufgeklärt werden konnte. Doch wozu ist Sadie Polizistin?
Mittlerweile existieren viele Romane, in denen irgendjemand einem lang zurückliegenden Familiengeheimnis auf die Spur kommt. Mal mehr, mal weniger gekonnt wird Vergangenheit und Gegenwart verknüpft. Kate Morton gehört jedoch mit Sicherheit zu denen, die es darin zu einer gewissen Meisterschaft gebracht haben.
Mortons Schreibstil ist wie Sekt. Süffig und sinnlich. Die Sätze fließen dahin, lassen sich leicht konsumieren, man möchte immer mehr davon. Menschen, ihre Gefühle und Beziehungen werden einfühlsam und nachvollziehbar geschildert. Loeanneth scheint zum Greifen nah. Sein Licht, die Natur, seine Düfte und Geräusche werden vor dem geistigen Auge des Lesers lebendig. Doch leider teilt die Autorin obendrein immer wieder Baiser aus, so dass die Geschichte und Sätze teilweise vor Gefühlsduseligkeit kleben. Auch das Hohelied der Mutterschaft wird etwas zu vehement gesungen. Ungeachtet dessen, dass Mutterliebe selbstverständlich eine starke Kraft sein kann, muss das aber nicht bei so gut wie jeder Figur thematisiert und dem Leser ständig um die Ohren gehauen werden.
Einerseits werden die gegenwärtigen wie auch vergangenen Handlungsstränge und die zahlreichen Erzählperspektiven geschickt verwebt. Es gibt raffiniert-platzierte Hinweise und falsche Fährten, die gefallen und mitunter total überraschen. Die Erzähler enthüllen verschiedene Aspekte der Geschichte. Schicht um Schicht wird das tatsächliche Geschehen freigelegt.
Andererseits kündigt sich manches schon von weitem an (z.B. um wen es sich beim Absender des Briefes handeln könnte, den Sadie ungeöffnet zurückschickt) und dass so gut wie jede Figur noch ein eigenes Geheimnis hat, wirkt auf Dauer ermüdend. Kate Mortons Hang wirklich jeden Faden zu verweben, ist für den Gesamteindruck der Geschichte ebenfalls von Nachteil. Leser sind bereit, einiges hinzunehmen und über manches hinwegzusehen, wenn sie Figuren und Handlung mögen. Doch wenn sich die Teile allzu perfekt zusammenfügen und die Happy-Ends kaum mehr zu zählen sind, mindert das die Glaubwürdigkeit der Geschichte/n enorm. Und wenn dem großen Geheimnis am Schluss noch die schwere und absolut unnötige Krone aufgesetzt wird, wird der Bogen so sehr überspannt, dass er schließlich reißt. Die Illusion einer lebensnahen Geschichte zerplatzt endgültig.
Das Seehaus ist wie ein Schaumbad. Es vermittelt wohlige Wärme, Entspannung und es umhüllt alle Sinne. Duftige Luftberge türmen sich auf, Seifenblasen platzen, neue entstehen. Die Zeit fliegt nur so dahin. Doch zum Ende hin entwickelt sich zu viel Schaum, der süßliche Duft nervt und das Wasser wird kalt, so dass man lieber aussteigt.
Insgesamt ist Kate Mortons aktueller Roman zwar nicht ihre überzeugendste Arbeit, unterhält aber über weite Teile auf höchstem Niveau und schlägt damit andere Werke des Genres immer noch um Längen.