Seattle, in den Vierziger Jahren:
Henry ist der einzige chinesische Junge an seiner Schule. Sein Vater ist sehr streng, aber auch sehr stolz darauf, dass sein Sohn eine bessere Bildung als er genießen kann. Deshalb erzählt Henry ihm lieber nicht, wie schwer es ihm die anderen Schüler machen, wie sie ihn verspotten und schlagen. Sein Vater ist auch viel zu sehr damit beschäftigt, den Krieg zwischen China und Japan zu verfolgen, als sich mit seinem Sohn auseinanderzusetzen. Eines Tages kommt Keiko an Henrys Schule. Sie fassen schnell Sympathie und verbringen viel Zeit miteinander, obwohl Henry sich damit gegen seinen Vater auflehnt. Angesicht des Krieges zwischen den USA und Japan werden die Repressionen gegen die japanischen Bewohner Seattles immer stärker. Schließlich wird sogar das japanische Viertel, in dem Keikos Familie lebt, umgesiedelt. Henry muss sich entscheiden, wem seine Loyalität gilt.
Jamie Ford erzählt eine Variante des klassischen Stoffs „Romeo und Julia“. Angesiedelt ist sie vor dem Hintergrund der realen historischen Ereignisse um Pearl Harbour und der Internierung japanischer US-Bürger. Ein aufschlussreiches und interessantes Kapitel der Geschichte, das mehr Beachtung finden sollte. Fords Roman bietet demnach sicherlich vielen Lesern Neuland.
Erzählt werden die Ereignisse von einem auktorialen Erzähler, der jedoch Henrys Perspektive einnimmt. So lernt der Leser zwar dessen Gefühlwelt kennen, aber nicht die der anderen Figuren. Es ist der Erzählperspektive von außen geschuldet, dass die Beweggründe von Henrys Eltern nicht allzu viel Raum gegeben wird. Leider ist auch die tiefe Verbundenheit zwischen Henry und Keiko nicht in allen Teilen fundiert. Zwar lässt sich nachvollziehen, wie und warum sie zusammenfinden, aber nicht warum diese Verbundenheit über solch eine lange Zeit trägt. Oder liegen die Gründe dafür schlicht in dem Umstand, dass man immer dem hinterher trauert, das man nicht haben kann? Dafür kann der Roman mit seinen Figuren wuchern. Der Leser schließt Henry, Keiko und ihren gemeinsamen Freund, Jazz-Trompeter Sheldon, schnell ins Herz.
Es gibt zwei Erzählstränge, die zwischen den Vierziger Jahren und dem Jahr 1986 hin und her springen. Dadurch ist es möglich, verschiedene Themen sowohl aus der Sicht des jungen Henrys als auch der des reiferen Henrys zu beleuchten. Und es werden zahlreiche Themen behandelt. Dazu gehören familiäre Beziehungen, Loyalitäten, der Tod, das Leben zwischen/mit verschiedenen Kulturen sowie die Auswirkungen von Vorurteilen, Diskriminierung und Krieg. Außerdem erhält der Leser Informationen, die erst im jeweils anderen Erzählstrang ihre volle Bedeutung offenbaren. So entsteht eine weitere spannende Erzählebene.
Der Sprachstil ist bildhaft und sensitiv. Henrys Gefühlswelt sowie die kleineren und größeren (politischen und gesellschaftlichen) Zusammenhänge werden sehr nachvollziehbar geschildert.
Die Handlung entwickelt sich wie ein langer ruhiger Fluss, auch wenn sie mitunter dramatische Züge annimmt. Der Leser wird besonders zum Ende hin emotional gefordert, allerdings entstehen gerade hier auch ein paar Längen. Darüber hinaus wirkt das Geschehen zwar über weite Strecken authentisch, doch andererseits gibt es das ein oder andere Ereignis, dass ein wenig konstruiert oder vorhersehbar anmutet.
Insgesamt ist Hotel on the Corner of Bitter and Sweet eine gefühlvolle Erzählung, welche sowohl die Auswirkungen von Vorurteilen als auch von historischen Umwälzungen auf den Einzelnen und seine Beziehungen sehr einfühlsam nachvollzieht.
3/5 Schreibmaschinen