[Rezension] Jeff VanderMeer: Auslöschung

9783888979682

Eine Biologin nimmt an der elften Expedition in die geheimnisvolle Area X teil. Es handelt sich um ein Gebiet, dass von einer Flora und Fauna besiedelt ist, die es sonst nirgends gibt. Auf dem ein Leuchtturm und ein unterirdischer Tunnel Kampfspuren und tödliche Geheimnisse bergen. Dessen Dörfer längst verlassen sind. Aus dem die Teilnehmer der früheren Expeditionen entweder gar nicht oder absolut verändert zurückgekehrt sind. Die Biologin führen nicht nur fachliche Gründe dorthin.

Auslöschung ist der Bericht, den sie während ihres Aufenthalts in Area X verfasst hat.

Die Southern Reach Trilogie hat Preise und viel Lob erhalten. Manch einer soll die Geschichte sogar als Meisterwerk wahrnehmen. Diese Einschätzungen kann man (aus welchen Gründen auch immer) teilen, muss man aber nicht. 

„Das ist alles, was ich berichten kann, obgleich mein Bericht nicht frei von Mängeln ist.“ Seite 232

Fast möchte man dem Autor euphorisch die Hände schütteln, ob dieser in Worte gefassten Selbsterkenntnis. Hätte er sie bereits am Anfang dem Leser geschenkt, hätte der sie als Warnung verstehen können und eine faire Chance zur Flucht erhalten. Aber warum soll es ihm anders als der Biologin gehen?

Offensichtlich möchte VanderMeer eine nagende Ungewissheit und Neugier auf das Unbekannte etablieren. Hierzu nutzt er verschiedene Instrumente.
Da die Geschichte in Form eines Tagebuchs präsentiert wird, übernimmt der Leser automatisch die Perspektive der Erzählerin und somit ihre subjektive Einschätzung der anderen Personen, der Situation und Lage. Er ist völlig auf ihre Deutungen angewiesen. Doch einerseits ist unklar, inwiefern die Biologin und ihre Gedanken manipuliert sind, da die Expeditionsteilnehmer hypnotisiert werden. Ist ihr wirklich zu trauen oder erliegt sie möglicherweise gesteuerten Halluzinationen? Andererseits handelt es sich um ein dienstliches Tagebuch. Dementsprechend sachlich drückt sich die Biologin aus und gibt nur bedingt Persönliches preis.
Eine Charakterisierung der Figuren findet kaum statt. Sie erhalten weder die Gnade eines Namens, noch einer Vergangenheit. Allein der Erzählerin werden ein familiärer Hintergrund und wenige Rückblicke gestattet. Ansonsten werden lediglich die Berufe der Expeditionsteilnehmerinnen sowie dürre Beschreibungen ihres Äußeren geliefert. Ergebnis ist eine gezielte Distanz zwischen Figuren und Leser.
Alles tolle Kunstgriffe möchte man meinen, denn der Leser befindet sich damit auf genauso unsicherem Terrain wie die Expeditionsteilnehmerinnen. Doch funktionieren tut das alles leider nur in der Theorie. In der Praxis führt es dazu, dass dem Leser das Schicksal aller Beteiligten recht egal bleibt.

Wenn der Schwerpunkt also nicht auf den Figuren liegt, worauf dann? Auf der Handlung sicher ebenso wenig. Die Biologin wandert zwischen verschiedenen Orten von Area X und beschreibt das, was sie vorfindet. Innerhalb dessen herrschen Naturbetrachtungen vor. Aktionen, welche die simple Handlung voranbringen, finden sich selten. So entwickelt sich nichts, dass auch nur annähernd als „Tempo“ durchgeht oder statt der farblosen Figuren zum Weiterlesen motivieren würde. Außerdem ist das alles viel zu schwammig als dass es dem Leser handfeste Hinweise auf Vergangenes, Zukünftiges oder Hintergründe liefern könnte. Er wird dadurch kaum in die Geschichte eingebunden. Es entsteht ein einschläferndes Vakuum. Vielleicht gleicht auch das Area X, ist aber von „Lesevergnügen“ so weit entfernt wie das geheimnisvolle Areal von der Realität.

Aber ist VanderMeer wenigstens sprachlich ein großer Wurf gelungen? Eher nicht. Zum einen müssen die Sätze aufmerksam gelesen werden, da sie teils verschachtelt, teils missverständlich sind. Dennoch ist jeder Satzkonstruktion anzumerken, wie sehr ihr Schöpfer sie liebt. Zum anderen mangelt es auch hier an Spannung und neuen, überraschenden Einfällen.

Insgesamt ist Auslöschung entgegen des eigenen Anspruchs erstaunlich konventionell geraten. Fehlende Namen, Biografien und eine fremde, bedrohliche Umgebung reichen nicht für ein neuartiges oder überraschendes Leseerlebnis. Obwohl gezielt Informationen vorenthalten werden und vieles absolut wage bleibt, stellt sich der vermutlich beabsichtigte Effekt einer Verunsicherung nicht zwangsläufig beim Leser ein. Es kann sich jeder freuen, bei dem das gelingt. Bei vielen mag der erste Band jedoch keine Neugier auf die anderen beiden wecken. Zu surreal und losgelöst von jeglichen Bezugspunkten schleicht die Geschichte vor sich hin.

1/5 Schreibmaschinen

1Writer

Jeff VanderMeer, Auslöschung, Verlag Antje Kunstmann 2014.

17 Kommentare zu „[Rezension] Jeff VanderMeer: Auslöschung

  1. Tut mir leid zu hören, dass dich das Buch nicht so begeistern konnte, ich kann deine Einwände nachvollziehen – mir hat es damals sehr gut gefallen, vielleicht aber auch, weil ich in dem Genre ganz neu war und ich sehr beeindruckt war von der unheimlichen Art wie das Buch gemacht war. Aber der zweite Teil, Himmel war das öde!

    LG Katha

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  2. Kann die Rezension leider noch nicht lesen weil ich mir gerade erst gestern selber das Buch gekauft hab und unvoreingenommen ran gehen will. Aber sobald ich es gelesen hab schau ich wieder vorbei 😉

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      1. Sag dir dann auf jeden Fall bescheid was ich davon halte…könnt aber noch ein bissal dauern weil zur Zeit bin ich noch mit dem neuesten Jonas Jonasson beschäftigt 😉

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      2. Da sprichst du ein wahres Wort…mir ist es schon oft so gegangen, dass ich ein Buch nach den ersten Kapiteln nochmal zurück ins Regal gestellt habe weil ich einfach gemerkt hatte, dass die Zeit dafür noch nicht gekommen war. Und Monate oder Jahre später hab ich es wieder angefangen und mich Hals über Kopf in die Geschichte verliebt.

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  3. Da kommt doch demnächst auch ein Film zu raus, oder? Mal schauen, ob der dann besser wird als die Vorlage. Vielleicht leihe ich mir das Ding bei Gelegenheit mal aus…

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      1. Ok. Hab mich jetzt mal informiert. Der Trailer sieht ja mal total nichts sagend aus. War ja aber bei „Arrival“ ähnlich. Könnte nur sein, dass es in diesem Fall daran liegt, dass der Film vielleicht einfach nichts zu sagen hat…

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      2. Wenn der Film sich am Buch orientiert (was er eigentlich tun sollte, aber man weiß ja nie 😉 ) , dann ist er total substanzlos. Also, in meinen Augen, aber das Buch hat jawohl auch viele begeistern können. Ohne Bestsellerstatus hätte Hollywood eine Verfilmung vermutlich nicht erwogen.

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      3. Stimmt schon. Aber das mit den Bestsellerzahlen ist ja auch so ein selbstregulierender Teufelskreis. Ist das Buch (angeblich) ein Bestseller, wird es verfilmt. Wenn eine Verfilmung angekündigt ist, verkauft sich das Buch umso besser…

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