[Serienkritik] Netflix: 3%

3%

Heute möchte ich eine Serie besprechen, die ich in den letzten Tagen erst rein zufällig für mich entdeckt und dann quasi inhaliert habe. Natürlich möchte ich Euch solch ein Werk nicht vorenthalten. Es handelt sich um die brasilianische Netflix-Produktion 3%.

In einem unbekannten dystopischen Staat muss der Großteil der Bevölkerung in Armut und Hunger vor sich hin vegetieren. Die einzige Hoffnung, ihr Leben zum Besseren zu wenden, ist ein strenges Auswahlverfahren, dass mit zwanzig Jahren durchlaufen werden kann. Jeder Jugendliche fiebert auf diese Möglichkeit hin und möchte sie sich nicht entgehen lassen. Die ausgewählten 3% dürfen auf die sagenumwobene „Insel“ übersiedeln, wo angeblich ein sorgenfreies Leben auf sie wartet. Dass sie dort keinen Kontakt mehr zu ihren zurückbleibenden Verwandten und Freunden haben werden, wird als Begleiterscheinung in Kauf genommen.
In diesem Jahr will sich Michele der Aufnahmeprüfung stellen. Sie weiß, dass es schwer werden wird und möglicherweise Opfer fordert. Dennoch ist sie fest entschlossen, das Verfahren zu durchlaufen, denn ihre Motivation geht über den Wunsch nach einem besseren Leben weit hinaus.

Je weniger man vor Beginn der Serie darüber weiß umso besser. Die Handlung setzt ein, als sich die hoffnungsvollen Anwärter auf den Weg zum Ort des Auswahlverfahrens aufmachen. Wir begleiten Michele während ihrer Zeit dort und durchlaufen mit ihr die Prüfungen. An ihrer Seite lernen wir weitere TeilnehmerInnen kennen, erfahren in Flashbacks mehr vom bisherigen Leben jedes Einzelnen. So verwischt der Fokus auf Michele zusehends und die anderen treten immer wieder in den Fokus. Dabei mangelt es nicht an psychologischem Tiefgang. Warum handelt jemand wie er es tut? Welche Motive stecken wirklich dahinter? Ist er überhaupt die Person, die er oder sie vorgibt, zu sein? Der Zuschauer weiß wirklich nie, was als nächstes passiert oder sich schließlich als wahr herausstellen wird. Nichts und niemand ist tatsächlich so wie es scheint.

Dasselbe trifft auf die Handlung zu, die sehr spannend, überraschend und intelligent aufgebaut ist. Man darf auf nichts vertrauen. Selbst, wenn man glaubt, das Prinzip durchschaut zu haben und das Unerwartete doch zu erwarten, erwischt einen die tatsächliche Auflösung doch wieder eiskalt. Das ist wirklich klasse und begeistert immer wieder aufs Neue! Führt natürlich auch dazu, dass die Serie einen unbestreitbaren Suchtfaktor entwickelt.

Die SchauspielerInnen erwecken ihre Figuren allesamt glaubwürdig zum Leben. Da man als Zuschauer aber permanent verunsichert wird, wem zu trauen ist, lässt man sich nur bedingt emotional auf sie ein. Am stärksten schafft es Michele, dass man mit ihr mitfiebert, einfach aufgrund ihres Status als Hauptfigur. Das Vergnügen wird durch das „Misstrauen“ in die Figuren aber ganz und gar nicht beeinträchtigt.

Inhaltlich überzeugt die Serie also auf ganzer Linie. Nicht nur die eigentliche Handlung, sondern auch die Implikationen, die immer mitschwingen. Befinden wir uns nicht selbst in einem immerwährenden Auswahlverfahren? Sei es auf dem Gebiet der Arbeit oder der Beziehungen? Müssen wir uns nicht auch gegen andere durchsetzen und versuchen, unseren Weg zu gehen? Immer auf der Jagd nach dem ganz großen Glück? Oder versprechen sich viele Flüchtlinge von Europa nicht auch eine Insel des Glücks und Wohlstands und lassen dafür ihr bisheriges Leben hinter sich?

All das Positive tröstet sogar über ein paar wenige Defizit mehr als großzügig hinweg. Zum einen gibt es keine deutsche Synchronisation, was an sich nicht schlimm wäre. Die englische wirkt aber wie eine Decke, die sich künstlich auf alles legt. Wahlweise kann man sich natürlich für den portugiesischen Originalton entscheiden, was mir aber nicht lag. Zusätzlich kann man aber wenigstens zwischen deutschen und englischen Untertiteln wählen.
Künstlich wirkt zum anderen teilweise auch der Look der Serie. Einerseits ist dem Gebäude, in dem der Auswahlprozess stattfindet, sein digitaler Ursprung anzusehen. Andererseits muten die Slums und die abgerissenen Klamotten seiner Bewohner eher gewollt arrangiert an. Im Gesamtbild sind das aber wirklich vernachlässigbare Faktoren.

Alles in allem ist für 3% ein glasklare Empfehlung auszusprechen! Wer Dystopien und raffinierte, unvorhersehbare Plots zu schätzen weiß, sollte sich die Serie auf gar keinen Fall entgehen lassen. Ich habe die ersten acht Folgen genau zur richtigen Zeit gesuchtet, denn so muss ich nicht lange auf die 2. Staffel warten. Erscheinungstermin ist nämlich der 27. April und den werde ich definitiv nutzen.

8/10 Tickets

8Tickets

Trailer zur 1. Staffel

Trailer zur 2. Staffel

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15 Kommentare zu „[Serienkritik] Netflix: 3%

      1. Das kann ich absolut nachvollziehen. Ging mir genauso. Habe aber auch das Gefühl, dass sich das Durchschnittsniveau der Serien echt erhöht hat. Es gibt viel mehr richtig gute Serien als vielleicht vor 10 oder 15 Jahren.

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