[Rezension] Tragische Liebe(n) über die Zeiten hinweg

MotronUhrmachers

Zufällig findet Archivarin Elodie an ihrem Arbeitsplatz einen vergessenen Karton. Neben einer edlen Aktentasche befinden sich darin das Foto einer jungen Frau und ein Skizzenblock. Eine der Zeichnungen zeigt ein Herrenhaus, das Elodie zwar noch nie gesehen hat, aber aus den Gute-Nacht- Geschichten ihrer kennt. Obwohl sie kurz vor der Hochzeit steht, fühlt sie sich magisch angezogen und beschließt, herauszufinden, was es mit der Fremden und der Erinnerung an ein fremdes Anwesen auf sich hat.

Als Edward das Herrenhaus Birchwood Manor kaufen konnte, war er überglücklich. Ein Kindheitserlebnis verband ihn fest damit. Nun würde er mit seinen Künstlerkollegen, seiner Schwester und seiner Muse dorthin fahren. Als aufstrebender Maler würde er dort sicher seine besten Werke schaffen. Wie konnte er ahnen, wie tragisch dieser Sommer enden sollte? Dass mehr als ein Leben zerstört werden würde?

Dreh- und Angelpunkt von Kate Mortons jüngstem Roman ist das Haus Birchwood Manor. Hier versammeln sich die Künstler der Magenta Brotherhood, um sich inspirieren zu lassen und tätig zu werden. Hier intrigieren Schülerinnen eines Mädchenpensionats gegen eine neue Mitschülerin. Ein traumatisierter Wissenschaftler forscht zur Künstlergruppe und schließlich wird das Anwesen zum Museum umfunktioniert.

Wie ein Haus ist der Roman selbst konstruiert. Die Autorin öffnet mit ihren Geschichten unterschiedliche Räume. Jeder hat seine eigene Ausstattung, Atmosphäre und Akteure. Einige sind mit mehr Liebe zum Detail ausgestattet oder überraschen stärker als andere. Manche sind lichtdurchflutet, andere sind düster und geheimnisvoll. Und wie durch Türen sind sie verbunden, die Figuren können in andere Räume wechseln und miteinander in Verbindung treten. Manchmal ist man überrascht, wo eine Person auftaucht.

Die Kapitel springen zwischen den verschiedenen Erzählperspektiven hin und her. Die titelgebende Uhrmachertochter ist zwar eine zentrale und außergewöhnliche Protagonistin, aber nichtsdestotrotz eine von vielen, die jeweils ihre ganz eigene Bedeutung für das große Ganze haben. Auch im späteren Verlauf des Romans tauchen noch neue Protagonisten auf. Immer wieder stellt sich erst im Laufe eines Kapitels heraus, um welche Zeit und Erzähler es sich gerade handelt. Bei weniger präsenten Personen fragt man sich stellenweise schon, welcher Name nochmal zu wem gehört. Die Verwirrung löst sich aber schnell auf. Dass man sich manchmal wünscht, länger bei der ein oder anderen Figur zu verweilen oder mehr zu bestimmten Aspekt zu erfahren, lässt sich bei der Fülle an Personen, Themen und Handlung ebenfalls verschmerzen.
Hinzukommt, dass Morton mit großem Feingefühl für ihre Figuren vorgeht. Es ist sehr gelungen, wie sie die unterschiedlichen Charaktere, ihre Eigenheiten und seelischen Nöte herausarbeitet. Deren Gedankengänge, Gefühlsregungen und Entscheidungen sind jederzeit nachvollziehbar und die Leser bauen (mal mehr, mal weniger) eine große Nähe zu den Erzählern auf. Klar, gerade die Rahmenhandlung um Elodie weist die herkömmlichen Zutaten eines Morton Romans auf und ist im Vergleich etwas langweilig, aber sie ist kurz gehalten und andere Überraschungen gleichen das Manko aus.

Da jeder Erzähler in seiner eigenen Epoche verhaftet ist, bedeutet das auch ein Springen zwischen den Zeiten. Anhand der Sprache der Figuren und Beschreibungen erhält jede Zeit einen recht authentischen Charakter. Mortons Schreibstil hat sich über die zahlreichen Romane hin ausgebildet und zeigt sich in Die Tochter des Uhrmachers sehr ausgereift. Darin entsteht eine ganz eigene Atmosphäre, in die man sich als Leser nur zu gerne versenkt.

Die einzelnen Handlungsstränge werden oberflächlich eher unaufgeregt erzählt, verlaufen aber häufig sehr dramatisch. Statt nach lauten Effekten zu haschen, nimmt Morton sich nämlich viel Zeit und Raum die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Personen und Ebenen herzustellen. Erst nach und nach formen sich diese im Kopf der Leserschaft. die Spannung wird auch durch immer neue Geheimnisse aufrechterhalten, deren Auflösung man unbedingt erfahren möchte und nur selten ahnt.
Die diversen Ebenen sind so kunstvoll verwoben, so dass es stets abwechslungs- und spannungsreich ist und zu einem eindrucksvollen Gesamterlebnis wird. Nur zum Ende hin wirkt das Ganze etwas überladen und auch der unbedingte Zwang, jeden losen Faden noch irgendwie zu verknüpfen, ist etwas übertrieben, fällt zum Glück aber nicht allzu negativ auf.

Auch thematisch und sprachlich geht die Autorin in die Tiefe. Gedanken zur Kraft von Orten, zur Zeit, Kunst, der Magie des Lichts, Krieg, Verlust und verschiedenen Konstellationen zwischenmenschlicher Beziehungen ziehen sich durch die Geschichten. Die familiären Beziehung, besonders die von Geschwistern, stechen besonders hervor. Manchmal wirkt es allerdings etwas erzwungen, dass so viele tragische Geschwister-Geschichten aufeinandertreffen.

Kate Mortons sechstes Werk ist möglicherweise ihr bestes, auf jeden Fall aber ihr kunstfertigstes. Die vielen Ebenen und Aspekte nehmen die Leser auf eine geheimnisvolle, emotionale und intellektuelle Reise mit, die nie langweilt, aber häufig in Erstaunen versetzt.

5/5 Schreibmaschinen

5Writer

Kate Morton, Die Tochter des Uhrmachers, Diana-Verlag 2018.

Herzlichen Dank an den Diana-Verlag und das Bloggerportal, die ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt haben. Es muss wohl nicht extra erwähnt werden, dass meine Meinung dadurch nicht beeinflusst wurde. Upps, jetzt wurde es doch erwähnt 😉 .

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8 Kommentare zu „[Rezension] Tragische Liebe(n) über die Zeiten hinweg

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