[Filmkritik] JoJo Rabbit (OV)

JoJoRabbit

Kritik enthält SPOILER

Die zehnjährige JoJo (Roman Griffin Davis) ist begeistertes Mitglied der Hitlerjugend. Sein imaginärer Freund ist deshalb auch niemand anderer als Hitler höchstpersönlich (Taika Waititi). Als JoJo entdeckt, dass seine Mutter Rosie (Scarlett Johansson) das jüdisches Mädchen Elsa (Thomasin McKenzie) auf dem Dachboden versteckt, versteht er die Welt nicht mehr. Doch dass Elsa nicht das Monster ist, als das die Nazis die Juden beschreiben, kann er auf Dauer nicht ignorieren.

Wenn man den Humor von Taika Waititi schätzt, dann stellt sich kaum die Frage, ob man sein neues Werk sehen möchte. Eine Komödie über die NS-Zeit mit einem imaginären Hitler, den Waititi selbst spielt, ist zu vielversprechend als dass man ihr widerstehen könnte. Er steht damit in einer langen Tradition von Filmsatiren über Hitler. Mit Der große Diktator (1940) und Sein oder Nichtsein (1942) seien nur zwei genannt. JoJo Rabbit basiert dabei lose auf dem Roman Caging Skies von Christine Leunens, die auch am Drehbuch mitgeschrieben hat.

Drehbuchautor und Regisseur Waititi hat sich entschieden, die Absurdität des Nationalsozialismus genauso wie seine Grausamkeit zu zeigen.
Erstes wird vor allem mit den Mitteln des Humors erreicht. Indem sich über die Nationalsozialisten lustig gemacht wird, werden sie quasi entmachtet. Waititi hat sich hierbei für einen extrem albernen und slapstickhaften Humor entschieden, der die rechte Ideologie, den Führerkult und die NS-Organisationen kräftig durch den Kakao zieht. Die Inspiration durch Monty Python ist nicht von der Hand zu weisen, es fehlt ihm aber der Überraschungsmoment des Vorbilds. Die Pointen sind in 99% der Fälle absolut vorhersehbar. Die Anfangsmontage aus historischen Aufnahmen, in denen Deutsche verzückt ihren rechten Arm strecken, unterlegt mit der deutschen Version vom Beatles-Klassiker „I want to hold your hand“ (Gib mir deine Hand) gehört zu den wenigen verblüffenden und ironischen Ideen. Ansonsten haben die witzigen Szenen häufig den Charakter von Sketchen z.B. aus Saturday Night Live. Für eine Satire ist JoJo Rabbit jedoch nicht bissig genug.

Das Verhältnis zwischen alberner Leichtigkeit und tragischem Ernst liegt schätzungsweise bei 70% zu 30%. Die Trennlinie ist sehr scharf gezogen und lässt sich sogar an einer Szene festmachen. Diese ist traurig, hätte aber noch stärkeren Eindruck hinterlassen können. Man ist vorher so sehr auf der Humorwelle gesurft und in einer ganz anderen, gelösten Stimmung, dass man sich auf diesen unvermittelten Umschwung nicht völlig einlassen kann. Das liegt jedoch auch daran, dass sie das Ergebnis vorheriger Szenen ist und damit vorhersehbar. JoJo hat seine Mutter gesehen, wie sie Flugblätter verteilt. Dieselben Flugblätter, die er vorher an einem der Gehängten auf dem Marktplatz gesehen hat. Andererseits gab es vorher zu wenige Szenen mit Rosie, als dass man eine richtige Verbindung zu ihr hätte finden können. Erst die Sache mit den Schnürsenkel treibt dann doch etwas die Tränen in die Augen.

Ab diesem Moment schlägt Waititi einen anderen Ton an. Der Krieg rückt näher, JoJo ist allein mit Elsa, die Einsamkeit und Verzweiflung nimmt zu. Erst in diesem letzten Abschnitt schafft es der Film wirklich zu bewegen und anzurühren. Er nimmt ihm den rein oberflächlichen Effekt, den er sonst gehabt hätte. Die Schlussszene in der JoJo und Elsa vor der Haustür zu Wir sind Helden (dt. Version des Klassikers von David Bowie) tanzen, ist die emotionalste Szene. Auch sonst gibt es Szenen, die das Herz anrühren, aber nicht ihr volles Potential entfalten.

Insgesamt wäre JoJo Rabbit homogener und noch eindrucksvoller gewesen, wenn Humor, humane Momente und Tragik durchgehend stärker miteinander verwoben worden wären. Wenn schon im ersten Teil immer wieder düstere Momente kreiert worden wären. Die Gehängten auf dem Marktplatz sind eine Ausnahme, sind aber auch für die spätere Szene unmittelbar wichtig. 

Die Schauspieler sind sehr gut ausgewählt und geben sich erfolgreich Mühe, mit deutschem Akzent zu sprechen.
Obwohl mit Scarlett Johansson, Sam Rockwell und Rebel Wilson bekannte Gesichter wichtige Rollen einnehmen, steht und fällt der Film mit seinem Hauptdarsteller Roman Griffin Davis. Der macht seine Sache absolut überzeugend und zieht die Zuschauer gleich auf seine Seite. In seiner kindlichen Naivität empfindet JoJo die Aktivitäten der Hitlerjugend als großes Abenteuer und die Juden als mythische Wesen mit übernatürlichen Kräften. Wie Elsa sagt, ist er kein Nazi, sondern ein zehnjähriger Junge, der es mag, lustige Uniformen zu tragen, und zum Club gehören will. Roman stellt den überzeugten Hitlerjungen genauso gut dar wie den einsamen Jungen, der immer stärkere Zweifel entwickelt.
Waititis Hitler ist ein trotziges Kind, das seinen Willen durchsetzen will und sich natürlich völlig lächerlich macht. In einigen Szenen stärkt er JoJos Glaube an den Nationalsozialismus, in anderen aber auch sein Selbstbewusstsein. Da er der Fantasie des Jungen entspringt, nehmen seine Auftritte proportional zu JoJos zunehmenden Zweifeln am Regime ab. Das Ganze hätte noch weitaus stärker überzeichnet werden können, bleibt aber hinter seinen Möglichkeiten zurück.
Scarlett Johansson als JoJos Mutter tritt in vergleichsweise wenigen Szenen auf. Natürlich macht sie das sehr gut, das Drehbuch gibt ihr aber wenig Gelegenheit zu glänzen. Denn Rosie ist eher eine distanzierte Figur, zu der man nicht wirklich emotionalen Zugang findet. Sogar in JoJos Leben scheint sie eher eine Randfigur zu sein. Leider wird so der Szene, die den Ton des ganzen Film verändert, die Kraft genommen.
Sam Rockwell ist in den letzten Jahren zu einen zuverlässigen Garant für große Schauspielleistung geworden und wertet jeden Film auf. Als Captain Klenzendorf macht er da keine Ausnahme. Obwohl seine Figur ebenfalls der Lächerlichkeit preisgegeben wird, ist sie mit einer gewissen Ernsthaftigkeit unterlegt und hat auch eine menschliche Seite. Neben JoJo zeigt sie die größte Entwicklung.
Thomasin McKenzie zeigt Elsa gleichzeitig als fragile und starke Persönlichkeit, die JoJo die Absurdität der rechten Ideologie vor Augen führt.
Archie Yates  als JoJos Freund Yorkie ist ein echter Glücksfall. Seine Auftritte sind immer Highlights. Er hätte gerne öfter auftauchen dürfen. Zum Glück widersteht Waititi der Versuchung, ihn im letzten Gefecht zu opfern. 

Besonders geglückt ist der Einsatz von Musik, wie die bereits erwähnten Beatles- und Bowie-Song beweisen. Auch die Kameraführung und die Bilder, die sie erschafft, sind sehr gelungen.

Nicht unerwähnt soll das abschließende Zitat bleiben, das wunderschön ist.

Leider ist JoJo Rabbit keine runde Sache. Zwar erreicht er sein Ziel, die Nazi-Ideologie als lächerlichen Fanatismus zu entlarven, aber Humor und Tragik sind nicht austariert. Schade, denn das Potential war da. Zum Glück findet der letzte Teil einen anderen, ernsteren Ton, der ihn noch zu einem bewegenden Erlebnis macht.

Seit dem 23.1.2020 mit einer Laufzeit von 106 Minuten in den deutschen Kinos zu sehen.

7/10 Tickets

7Tickets

 

2 Kommentare zu „[Filmkritik] JoJo Rabbit (OV)

  1. Mit sieben von zehn möglichen Punkten ist der Film hier doch gut weggekommen.

    Wenn ich Schullehrer wäre, würde ich darauf drängen, eine Vorstellung mit meiner Schulklasse besuchen zu dürfen, denn er stellt das unvorstellbare Grauen, und die damit verbundene Menschenverachtung und Indoktrinierung in humorvoller, aber auch nachdenklicher Weise hervorragend dar, und hinterlässt vielleicht gerade bei jugendlichen Zuschauern mehr Wirkung, als alle ernsthaften Dokumentationen über die Nazi-Zeit zusammen.

    Wenn es bei den Oscar- Verleihungen eine Kategorie für den besten Filmwitz gäbe, würde ich „JoJo Rabbit“ für den Spitzenplatz nominieren, die Szene mit den „German Shepherds“ hat für nachhaltiges Gelächter gesorgt!

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    1. Die letzten 30% haben den von dir beschriebenen Effekt bei mir erreicht und hat die Wertung noch in die Höhe getrieben. Vorher fand ich seinen Humor wie erwähnt zu offensichtlich. Für mich muss ein wirklich guter Gag auch eine Spur Überraschung in sich tragen. Aber du hast recht, er würde den Jugendlichen sicher sehr gut die Lächerlichkeit und Absurdität der NS-Ideologie nahebringen.

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