Emma (Jo Ellen Pellman) lebt in der Kleinstadt Edgewater in Indiana, wo der Abschlussball ihrer Schule kurz bevorsteht. Allerdings möchte sie den nicht traditionell mit einer männlichen Begleitung bestreiten, sondern mit ihrer Freundin. Toleranz gehört jedoch nicht zu den Werten von Edgewater, sodass der Elternbeirat mit seiner Vorsitzenden Mrs. Greene (Kerry Washington) als Speerspitze dafür sorgt, dass „The Prom“ abgesagt wird.
In New York City bestreiten die alten Showhasen Dee Dee Allen (Meryl Streep) und Barry Glickman (James Corden) die Premiere ihres neuen Musicals Eleanor! The Eleanor Roosevelt Story (keine historische Figur ohne Musicalverwurstung 😉 ). Über den ersten Auftritt werden sie nicht hinauskommen, da die Kritiken vernichtend sind und die Show eingestellt wird. Da auch Dee Dee und Barry ihr Fett wegbekommen und als Narzissten bezeichnet werden, müssen sie dringend etwas tun, um ihr Image aufzupolieren. Wie wäre es, sich völlig selbstlos (!) für einen guten Zweck einzusetzen? Zum Beispiel dafür zu sorgen, dass eine High-School-Absolventin mit ihrer Freundin zum Abschlussball gehen kann? Unterstützt werden sie dabei von Trent Oliver (Andrew Rannells), einen ehemaligen Sitcom-Schauspieler, der zwar Juilliard besucht hat, aber sein Geld als Barkeeper verdient, und Angie Dickinson (Nicole Kidman), die gerade ihren Job als Chorgirl im Musical Chicago geschmissen hat. Auf nach Edgewater!
Derzeit ist es ja bekanntermaßen nicht möglich, ein Musical zu besuchen. Was tut man also als Fan des Genres? Richtig, man schaut sich einen Film auf Netflix an, der einen thematisch zwar nicht hundertprozentig interessiert, aber der immerhin auf einem recht neuen, recht erfolgreichen Broadway-Musical basiert. Ich kannte The Prom bisher nur vom Hörensagen, wusste ansatzweise wovon die Geschichte handelt, kannte jedoch vor der Filmsichtung keines der Lieder. Inwiefern der Film inhaltlich oder in der Inszenierung vom Bühnenstück abweicht, kann ich also nicht feststellen.
Formal besteht The Prom also aus zwei Erzählsträngen, nämlich dem der Broadway-Darsteller auf der einen und Emmas auf der anderen Seite. Bald finden beide Erzählstränge zusammen, wobei es sich jedoch nicht so anfühlt. Ich könnte mir vorstellen, dass sich das Bühnenstück auf Emma und ihr Problem fokussiert, während Regisseur Ryan Murphy die Broadway-Truppe spannender fand. Verübeln kann ich ihm das nicht, denn mir geht es ganz genauso. Und wenn man schon eine Meryl Streep in Szene setzen darf, dann möchte man diese Gelegenheit doch mit Sicherheit auch voll ausschöpfen. Doch zu den schauspielerischen Leistungen kommen wir gleich noch. Konzentrieren wir uns zuvor noch etwas auf die Geschichte.
Die Handlung plätschert zu jedem Zeitpunkt gefällig dahin. Diverse Szenen sind zwar als große emotionale Momente angelegt, entfalten aber keinerlei Wirkung. Das liegt einerseits daran, dass man sie schon von ganz Weitem kommen sieht und andererseits daran, dass sie einfach nur altbekannte Tropen wiederkäuen. Sogar die Dialoge klingen größtenteils unnatürlich und austauschbar. Als wären einfach Versatzstücke zusammengewürfelt worden. Stellenweise fühlte ich mich in ein bemühtes Laientheater versetzt. All die Szenen hat man schon hundertmal besser und innovativer irgendwo gesehen. Dass The Prom ohne emotionale Wirkung bleibt, heißt schon was, da ich bei Filmen üblicherweise sehr nah am Wasser gebaut bin und häufig auch auf offensichtliche Tränendrücker-Szenen hereinfalle. Es gab nur einen einzigen Moment, bei dem mir die Tränen etwas in die Augen stiegen, aber das lag nicht an der Inszenierung.
So vorhersehbar die Inszenierung ist, so generisch und stereotyp fällt die Geschichte aus. Vielleicht setze ich mich jetzt in ein Fettnäpfchen, aber das Problem, dass Emma und ihre Freundin nicht gemeinsam zum Ball gehen dürfen, ist für mich nicht plausibel, sondern wirkt aus der Zeit gefallen. Ja, ich weiß, in den konservativen US-Staaten ist Akzeptanz von Homosexualität sicher noch ein großes Thema. Das erklärt sicherlich den US-Erfolg des Musicals. Natürlich existiert auch sonst auf der Welt und auch in Deutschland noch viel zu viel Intoleranz, aber das ein Prom abgesagt wird, weil zwei Mädchen daran teilnehmen wollen, ist für mich schwer nachvollziehbar. Ich sehe darin kein Problem und offensichtlich die Macher auch nicht so sehr, denn sonst würden sie das Ende nicht derart zuckrig ausmalen. Klar, der Prom ist ein Vehikel, aber für mich eben kein glaubwürdiges.
Die Struktur der Geschichte sorgt dafür, dass ich irgendwann sogar meinte, sie wäre nun auserzählt und das Filmende stehe unmittelbar bevor, was völlig okay für mich gewesen wäre. Umso überraschter war ich, dass erst 41 Minuten gelaufen waren und noch 1 ½ Stunden folgen sollte. Ich konnte mir nicht vorstellen, womit die noch gefüllt werden sollten und neugierig darauf war ich eigentlich gar nicht mehr. Die Handlung wird sehr langgezogenen, ausgewalzt. Das alles hätte weitaus kompakter erzählt werden können.
Eine Rettungsweste für mich und einen Rettungsanker für den Film liefert zum Glück die Broadway-Truppe. Hätte sich das Musical doch diesen vier (Selbst-) Darstellern völlig verschrieben! Dee Dee und ihre Begleiter bringen soviel witziges und tragisches Potenzial mit, das nur darauf wartet, genutzt zu werden. Das geschieht hier jedoch leider nur rudimentär. Immerhin erhält man eine ungefähre Vorstellung von ihnen, ihren Neurosen, ihrer Vergangenheit, ihren Irrwegen,Wünschen und Hoffnungen. Besonders von Oliver und Angie hätte ich gerne mehr erfahren. Doch vor allem sorgt das Quartett für unterhaltsame Momente! Besonders Dee Dee ist herrlich überzeichnet und darf die besten Zeilen bestreiten.
Neben Dee Dee bilden die vielen Seitenhiebe und Querverweise auf die Welt des Musicals, den Broadway und selbstverliebte Schauspieler die eigentlichen Highlights des Films. Eine weitere tolle Idee war fiktive Musicals einzubauen.
Natürlich wird Meryl Streep hier nicht gefordert, aber sie stiehlt dennoch allen die Schau. Ihre Dee Dee ist herrlich überdreht, narzisstisch und von sich eingenommen. Sie entwickelt große Spielfreude, obwohl man ähnliche Rollen natürlich schon von ihr kennt (Florence Foster Jenkins, Der Teufel trägt Prada etc.). Vermutlich wird Streeps Stimme technisch massiv unterstützt. Andernfalls hätte ihre Stimme seit Mamma Mia! enorm an Volumen gewonnen. Für mich ist sie wie erwähnt die Einzige, die The Prom überhaupt unterhaltsame Momente schenkt und sehenswert macht.
Zu James Cordon habe ich seit langem ein ambivalentes Verhältnis. Mir vermittelt er immer den Eindruck, dass er sich als großen Musicaldarsteller verkaufen möchte, es aber einfach nicht ist. Offensichtlich glauben ihm viele dieses Image dennoch, denn The Prom ist ja nicht der erste Musicalfilm, in dem er auftaucht. In diesem Fall muss selbst ich ihm zugestehen, dass er seine Sache recht ordentlich macht. Er kann ja nichts dafür, dass Barry und seine Geschichte ziemlich stereotyp (aber immerhin sympathisch) geraten sind. Neben Meryl Streep hat mir Andrew Rannell besonders gefallen. Man merkt, dass er sich in der Rolle nicht zu ernst nimmt und Spass an ihr entwickelt. Gerne hätte ich mehr von Oliver erfahren. Tja, und Nicole Kidman? Die ist die meiste Zeit einfach nur anwesend, hat dann eine längere Szene mit Emma, die in einen Song mündet und ist dann wieder nur anwesend. Abgesehen davon nimmt man ihr das Chorgirl altersmäßig nicht mehr ab.
Die Figuren von Edgewater bilden ein recht farbloses und daher schwaches Gegengewicht. Das trifft leider auch auf Emma zu. Jo Ellen Pellman einen sympathischen, fähigen Eindruck und ich glaube, dass sie auf jeden Fall noch in besseren Rollen und Filmen zu sehen sein wird. Keegan- Michael Key als Schuldirektor ist sympathisch, aber das war es dann auch. Kerry Washington nimmt man die verbohrte Mrs. Greene zwar ab, nicht jedoch deren abrupte Entwicklung, wofür die Schauspielerin natürlich nichts kann.
Doch kommen wir zu dem, was einen Film erst zum Musicalfilm macht, und zwar die Musik. Leider hat mich auch diese überhaupt nicht überzeugt. Im Gegenteil. Kein einziger Song ist „catchy“ oder innovativ, berührend oder mitreißend. Stattdessen sind sie oberflächlich, langweilig und beliebig. Zudem klingt nicht nur einer wie der andere, sondern erinnert auch noch an prominentere Beispiele. Als hätte jemand alle existierenden Musicals analysiert und aus ihnen neue, aber bekannt klingende Lieder zusammengeschustert. Die Texte sind alles andere als subtil, sondern liefern ihre inklusive Botschaft und ihren Ruf nach Toleranz und Akzeptanz unverblümt und direkt ab. Wortwörtlich. Mit poetischen Umschreibungen oder elaborierten Formulierungen hält sich hier garantiert niemand auf. Dementsprechend blieb mir kein einziges Lied im Gedächtnis. Dennoch muss ich zugeben, dass ein einziger Song mich dann doch ein bisschen zu Tränen gerührt hat. Allerdings war der Grund weniger der Song „We look to you“ selbst als das worum er sich dreht. Er handelt von der Liebe zum Theater, zum Musical und zum Broadway. Hier habe ich mich wiedergefunden und meine Sehnsucht, wieder in einem Theater platz zu nehmen und mir ein Musical oder Konzert anzusehen, hat mich getroffen.
Es ist geradezu überraschend, wie wenig Raffinesse in The Prom geflossen ist. Ein letztes Indiz hierfür ist, dass Werbung bzw. Produkte ziemlich offensichtlich platziert werden. Allerdings hat jede Regel ihre Ausnahme und die bilden in diesem Fall Ausstattung und Setdesign. Beides ist sehr farbenfroh und überbordend. Eine Freude für jedes müde Auge.
4/10 Tickets
The Prom, Netflix 2020, 130 Minuten.