Kein Vergleich mit Bohemian Rhapsody

Im Moment kursieren viele Vergleiche zwischen Bohemian Rhapsody und Rocketman. Oberflächlich betrachtet kann man diese natürlich anstellen, eigentlich sind die Methoden beider Filme aber zu unterschiedlich, um vergleichbar zu sein. Das eine ist ein Biopic, das andere ein Musical.

Man hat fast den Eindruck Dexter Fletcher hätte aus den Vorwürfen an Bohemian Rhapsody gelernt. Indem er Rocketman als Musical Fantasy deklariert, entzieht er sich von vornherein dem Anspruch einer Chronologie und sichert sich größtmögliche künstlerische Freiheit. Rocketman wählt somit nur wenige chronologische Bezugspunkte, imaginiert darum herum, um die Essenz seiner Geschichte offenzulegen.
Bohemian Rhapsody hingegen will eine abgeschlossene Geschichte erzählen und gleichzeitig reale Ereignisse prominent einbinden. Um beides zu erreichen, wird die historische Chronologie verändert. Die schwierigere Herangehensweise hat zwar Bohemian Rhapsody gewählt, aber darauf kommt es letztlich nicht an. Wie man die unterschiedlichen Methoden bewertet, ist subjektiv, sie werden definitiv in beiden Fällen extrem gut umgesetzt.

Des Weiteren wird Bohemian Rhapsody vorgeworfen, Freddies Intim- und Partyleben nicht ausführlich genug zu behandeln. Auch diesem Vorwurf wollte Fletcher offensichtlich keinen Vorschub leisten und breitet entsprechende Szenen bereitwillig in Rocketman aus. Beide Herangehensweisen sind absolut legitim und wieder kann jede/r entscheiden, was er, wenn überhaupt, bevorzugt. Nichtsdestotrotz ist zu bedenken, dass es einen Unterschied macht, ob das reale Vorbild des Protagonisten noch lebt oder nicht. Es ist nun einmal etwas anderes, wenn das Leben von jemandem dargestellt wird, der sich nicht mehr wehren kann. Elton John ist Produzent von Rocketman und konnte jederzeit seine Wünsche anbringen. Es arbeitet sich leichter, wenn man jederzeit das Okay der betroffenen Person einholen kann. Auch wenn er sich zurückgehalten haben soll, wird Elton John vermutlich ein Auge auf seine Darstellung gehabt haben. Er wird nie in einem schlechten Licht gezeigt, was vielleicht schon seiner Präsenz zuzuschreiben ist. Doch ich möchte nichts unterstellen. 😉

Im Fall von Bohemian Rhapsody sind Brian May und Roger Taylor intensiv involviert gewesen und haben quasi in Freddies Sinne das Projekt gelenkt. Natürlich fühlen sie sich ihm verpflichtet, überlegen sehr genau, wie die Szenen mit ihm gestaltet werden sollen. Wie kann seine Persönlichkeit deutlich gemacht werden? Sein familiärer Background, seine Probleme etc.? Was soll wie preisgegeben werden? Wie grafisch soll es geschehen? Offensichtlich haben sie sich für einen zurückhaltenderen Weg entschieden, den man ihnen in Anbetracht der Umstände meiner Meinung nach nicht vorwerfen darf. Hinzukommt, dass sie ihren Film einer sehr breiten Öffentlichkeit zugänglich machen wollten. Alles in allem stören mich die unverblümten Darstellungen in Rocketman nicht, meinen persönlichen Geschmack trifft jedoch die leise Herangehensweise in Bohemian Rhapsody besser. Es ist ja nicht so, dass der Film irgendetwas verschweigen würde. Man erfährt von Freddies Homosexualität und Drogenkonsum ebenso wie von seiner Zerrissenheit und Krankheit. Der Film braucht z.B. keine expliziten Bilder seiner Krankheit, die vielleicht schnell als reißerisch empfunden werden könnten.

Schließlich wird immer wieder hervorgehoben, dass Taron Egerton im Gegensatz zu Rami Malek selbst singt. Das ist wirklich toll und bewundernswert. Es ist aber ein großer Zufall, jemanden zu finden, der sich nicht nur darstellerisch und optisch in sein Vorbild verwandeln kann, sondern auch noch stimmlich! Glückstreffer! Ein Bonus! Das kann natürlich im Umkehrschluss nicht heißen, dass man eine ansonsten perfekte Besetzung am fehlenden Gesangstalent scheitern lassen sollte. Kann man es also Rami vorwerfen, nicht selbst gesungen zu haben? Nein. Und heutzutage gibt es genug Möglichkeiten, technisch Abhilfe zu schaffen. Im Übrigen ist die Feststellung wohl nicht zu gewagt, dass es weitaus schwieriger ist Freddies Stimme zu imitieren als Elton Johns. In Rocketman war es außerdem ein wichtiger Bestandteil, dass Taron selbst singt, um die Lieder inhaltlich in die Handlung einzubinden.

Für mich persönlich als großem QUEEN-Fan wirkt Bohemian Rhapsody natürlich auf einer tieferen, emotionaleren Ebene als für unbeteiligte ZuschauerInnen. Das kann und will ich Rocketman nicht zum Vorwurf machen und habe gar nicht erwartet, dass er eine ähnliche Wirkung auf mich haben könnte. Ich mag viele seiner Lieder, die teilweise echte Meisterwerke sind, und finde Sir Elton John sehr sympathisch. Mein Fanherz hat er jedoch nicht erobert. Allerdings hat der Film sein Potential, mich auf seine eingene Weise tief zu bewegen, auch nicht ausgeschöpft. Zum Einen liegt das sicher am überragenden Trailer, der meine Erwartungen sehr hochgeschraubt hat. Zum Anderen habe ich erwartet, von der Musik und ihrer Inszenierung absolut mitgerissen zu werden. Das gelang aber immer nur ansatzweise, was mich total enttäuscht hat und für mich das große Manko darstellt!

Falls Dein Weg Dich nicht über die Kritik zu Rocketman hierher geführt hast, könntest Du sie hier nachlesen.