
Auf seinem Sterbebett möchte Colonel Tom Parker einiges klarstellen. Er, der Manager von Elvis, dem King of Rock’n Roll, war nicht der Bösewicht in ihrer Geschichte. Vielmehr hat er den armen Jungen aus Tenessee erst zu dem gemacht, was er war: Ein globaler Superstar. Dass dieser Status nur mit Nebenwirkungen erreicht und aufrecht erhalten werden konnte, lässt sich allerdings nicht von der Hand weisen
Als ich vor ein paar Monaten den Trailer zu Baz Luhrmanns Film ELVIS sah, dachte ich mir zum einen, dass der Hauptdarsteller, einen Schlafzimmerblick hat, den ich nicht mag, zum anderen, dass er gar nicht wie Elvis aussieht. Daher war ich überzeugt, den Film nicht sehen zu wollen. Und dabei mag ich Musikfilme wirklich gern!
Einige Zeit später sah ich mir ein Reaction-Video von zwei Youtubern und einer ihrer Freundinnen (einem Elvis-Fan) zum neuen Trailer an. Ich merkte wie gebannt und mit wachsender Begeisterung sie ihm folgten und stellte fest, dass auch ich ihn spannend fand.
In der letzten Woche, im Zuge des näherrückenden Kinostarts, häuften sich Videos von Austin Butlers und Tom Hanks Promotionauftritten, Kritiken wurden veröffentlicht, Fanscreenings abgehalten etc. Und ich begann, mir mehr und mehr davon anzusehen bis ich schließlich bei Elvis selbst landete und diverse Videos seiner Auftritte unter die Lupe nahm.
Obwohl meine früheste Fernseherinnerung tatsächlich ein Auftritt von Elvis Presley war, hatte ich bisher keinen Bezug zu ihm. Natürlich kannte ich ihn, seine Musik, die nebenbei im Radio lief, seine Filme, die früher gerne im Sonntagsnachmittagsprogramm gezeigt wurden.
Ich fiel also in der letzten Woche in ein Kaninchenloch, an deren Boden ich die Erkenntnis fand, den Film doch im Kino sehen zu wollen. Ja, zu müssen. Besonders, da die Kritiker ihn entweder bejubeln oder abgrundtief zu hassen scheinen. Zwar habe ich es bisher nie über die ersten fünf Minuten von Moulin Rouge hinausgebracht, Australia (Drehbuch Baz Luhrmann) fand ich schlecht und The Great Gatsby lediglich okay, was vermutlich nicht die besten Voraussetzungen sind, aber davon wollte ich mich nicht beirren lassen. Ich wollte wissen, wie ich ELVIS finden würde und wenn ich ihn schon sehen wollte, dann auf jeden Fall im Kino!
Am 26. Juni war es also soweit und ich saß in der Originalversion von ELVIS, mit Austin Butler und Tom Hanks in den Hauptrollen. Erzählt wird Elvis‘ Leben aus der Sicht vom Colonel, der lebenslang sein Manager war und seinen Vorteil aus ihm zog.
Tja, was soll ich sagen. Reden wir nicht lange drum herum: Der Film ist großartig! Vor allem aber ist Austin Butler auf irgendeine mysteriöse Weise mit Elvis verschmolzen und hat ihn uns zurück (auf die Leinwand) gebracht. Obwohl die Ähnlichkeit objektiv nicht gegeben ist, habe ich sie im Laufe der Zeit trotzdem wahrgenommen. Tatsächlich war ich mir oft nicht sicher, ob ich den echten Elvis nicht zwischen zwei Wimpernschlägen doch gesehen habe. Das war wirklich merkwürdig.
Es ist eine große Herausforderung, ein Person zu verkörpern, die inzwischen durch zahlreiche Imitatoren und filmische Persiflagen fast schon den Status einer Comicfigur erreicht hat, und dabei nicht in die Fallen der Überzeichnung zu tappen. Austin meistert die Herausforderung mit Bravour, seine Leistung kann gar nicht hoch genug eingeschätzt und geschätzt werden. Es ist absolut kein Wunder, dass er nach den Dreharbeiten erstmal ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Jede Minute, in der er auf der Leinwand ist, ist die Anstrengung, das Herzblut und die Liebe, die er in diese Figur gesteckt hat, wahrnehmbar. Er muss sehr viele Interviews und Filme gesehen haben, um Elvis‘ Stimme so grandios einstudieren zu können. Diese Rolle hat ihn auf jeden Fall in den Sternenhimmel katapultiert und zum Hollywood-Star gemacht, davon bin ich überzeugt. Er schafft es, dass man sich während des Films nicht allein in Elvis , sondern auch in ihn selbst verliebt.
Mich haben Austins Darstellung und die Geschichte gepackt und mitgenommen. Der Film lässt erahnen, wer dieser Mensch war, was ihn angetrieben und letztlich zerstört hat. Welche Faszination er ausgeübt hat und wie einsam er dennoch war. Ich habe jede Sekunde genossen, aber es war mitunter emotional anstrengend. Was jedoch nicht negativ ist, sondern zeigt, dass Baz es geschafft hat, mich zu involvieren. Elvis war mir nicht egal. Im Gegenteil. Am Schluss habe ich um ihn getrauert und es tut mir jetzt durch die Beschäftigung erst wirklich leid um ihn.
Abgesehen von Austin kann eigentlich nur Tom Hanks schauspielerisch hervorstechen. Alle übrigen Schauspielerinnen und Schauspieler haben wenig Möglichkeiten, ihren Figuren Charakter zu verleihen. Sie sind mehr oder weniger Erfüllungsgehilfen. Selbst Olivia DeJonge als Priscilla tritt kaum in Erscheinung, hat jedoch zwei Schlüsselszenen, die mir die Tränen in die Augen getrieben haben. Hier liegt einer meiner wenigen Kritikpunkte: Wichtige Stationen in Elvis‘ Leben werden nicht erzählt oder zu schnell abgehakt. Es wird zwischen Zeiten gesprungen und dann ist plötzlich etwas Fakt, das vorher nie erwähnt wurde. Besonders schade ist das in Bezug auf Priscillas und Elvis‘ Beziehung. Gerne hätte ich ihre erste Begegnung gesehen, aber Zack küssen sie sich, Zack sind sie verheiratet, Zack trennen sie sich. Wenn man sich allerdings bewusst macht, dass Baz hier vielleicht weder Elvis Lebensgeschichte noch Tom Parkers Beziehung zu ihm zeigen will, sondern vielmehr die Liebesgeschichte zwischen Elvis und seinem Publikum, dann fällt die Sprunghaftigkeit nicht mehr ins Gewicht, sondern macht absolut Sinn.
Die erste Filmhälfte hat sowieso enormes Tempo, was die zunehmenden Dynamik, die Elvis Karriere entwickelt, perfekt widerspiegelt. Im Zweiten Teil nimmt das Tempo ab, was widerum auf die Rückschläge und Schwierigkeiten in seinem Leben verweist. Der Übergang zwischen beiden Abschnitten ist kaum wahrzunehmen und sehr gelungen.
Zurück zum Cast. Kleiner Exkurs: Es ist wirklich krass, wie Helen Thomson von den Maskenbildern in Elvis‘ Mutter Gladys verwandelt wurde. Man glaubt nicht, dass es sich um ein und dieselbe Person handelt. Womit wir dann doch einen geschmeidigen Übergang zu Hanks Figur des Col. Parker gefunden hätten, denn auch er ist einer im wahrsten Sinne des Wortes großen Transformation unterzogen worden. Ich habe mir vorher Bilder vom echten Colonel angesehen und die Ähnlichkeit ist frappierend. Doch obwohl Hanks seine Rolle wie immer toll spielt, wirkt die Figur überzeichnet. Ich glaube, hier hat Baz zugunsten der Dramaturgie reichlich übertrieben. Weder ist Parker ein so astreiner Villain, noch war sein Auftreten so over the top. Zumindest bezweifle ich das. Es wurde außerdem zu offensichtlich, zu wenig subtil das Thema „Verkauf der Seele an den Teufel“ bearbeitet.
Obwohl ich vorher, wie gesagt, kein ausgesprochener Fan von Luhrmanns Stil war, passte er hier perfekt. Der Film ist ein optisches Spektakel. Oft werden Split-Screens verwendet, am Anfang sogar Comicheft-Elemente, die Farben sind überbordend. Besonders faszinierend sind die Liebe zum Detail und die Authentizität mit der Sets und Szenen realisiert wurden. Es scheint tatsächlich, als wäre Butler an den selben Schauplätzen wie Elvis vor sechzig Jahren unterwegs. Als wäre er z.B. wirklich auf der Bühne des Comeback-Specials oder würde „A Little Less Conversation“ am Originalfilmset mit den selben Statisten singen. Ich finde diese Akribie sagenhaft, trägt sie doch ungemein zur Illusion bei, Elvis‘ Geschichte hautnah zu erfahren. Und diese Illusion wird tatsächlich geschaffen und hat mich emotional oft berührt.
Zwar soll die Handlung historisch nicht immer akkurat sein, aber da ich keine Elvis-Kennerin bin, kann ich die Stellen ohnehin nicht ausmachen. Außerdem stört es mich nicht, da ich annehme, dass es dramaturgische Gründe dafür gibt.
Gleichzeitig wird die Handlung in die gesellschaftlichen und politischen Umstände der damaligen Zeit eingebettet und macht diese sehr deutlich. All das trägt ebenfalls zum Realismus bei, der ein Gegengewicht zu den Fantasien Luhrmanns bietet.
Trotz der teilweise sprunghaften Erzählweise und der langen Laufzeit konnte ELVIS mich wirklich begeistern. Es war wie eine Achterbahnfahrt, die Zeit flog nur so dahin und ich habe keinerlei Längen wahrgenommen. Das lag in erster Linie an Austin Butler, der die fast übermenschliche Figur mit extrem viel Herzblut und Einfühlungsvermögen verkörpert und dadurch nahbar macht. Des weiteren an der Inszenierung und den opulenten Bildern, aber vor allem auch an der zeitlosen Musik. Natürlich kannte ich Elvis‘ Klassiker wie jeder andere aus dem Radio, Filmen, Serien, Werbung, habe mich aber nie eingehender mit seiner Musik beschäftigt. Das habe ich jetzt in begrenztem Maße vor dem Film gemacht und ich habe das Gefühl, ich höre sie jetzt mit neuem Bewusstsein. Elvis hat seine Lieder gefühlt und vermochte, diese Emotionen an sein Publikum weiterzugeben. So wie Baz Luhrmann es mit seinem Film schafft, den Menschen Elvis einem neuen Publikum begreifbar zu machen und seinen bisherigen Fans erneut erlebbar.
9/10 Ticket für meinen vermutlichen Film des Jahres. Hauptdarsteller des Jahres ist auf jeden Fall sicher.

ELVIS, Regie und Drehbuch Baz Luhrmann, Laufzeit 159 Minuten, Dt. Kinostart: 23. Juni 2022.