[Rezension: Walter Moers Die Insel der Tausend Leuchttürme] Fabulierkunst fegt wie ein Riesenkrake durch dieses langersehnte wortgewaltige Werk

Walter Moers hat endlich seinen von Fans lang ersehnten neuen Band über die Abenteuer des Dichterfürsten Hildegunst von Mythenmetz vorgelegt. Es fühlt sich fast wie Jahrzehnte an, seit der Lindwurm in die Stadt der Träumenden Bücher aufgebrochen ist und nicht nur endlosen Gefahren strotzen musste, sondern auch die Herzen der Leserschaft im Sturm erobert hat. Nun endlich treffen wir ihn wieder und begleiten ihn auf „Die Insel der Tausend Leuchttürme“ Eydergard, die nicht nur für die dort angebotenen Kuren, sondern auch für ihre skurrilen menschlichen und tierischen Bewohner, ihre einmaligen Naturphänomene und ebenjene leuchtenden Bauwerke bekannt ist. Mythenmetz macht sich nicht nur auf, all das zu erkunden, sondern muss außerdem weit größere Herausforderungen bestehen als dem beleibten und hypochondrischen Schriftsteller lieb ist.

Wir mussten extrem lange auf eine Fortsetzung warten. Hat es sich gelohnt bzw. werden wir dafür belohnt?

In Moers, pardon Mythenmetz‘ neuem Werk lesen wir wie in einem Tagebuch, denn der literarische Lindwurm beschreibt seine Reise in Briefen an seinen Freund Hachmed Ben Kibitzer, die er allerdings nie abschickt. Darin führt er wieder in imposante, verblüffende und im besten Sinne abwegige Bilderwelten, die vor dem inneren Auge der Leserschaft gemalt werden. Wir stapfen mit ihm über die wundersame Insel und erfahren wie in einem guten Reiseführer alles über Land, Leute, Bauwerke und Geschichte des Eilandes, die alle vor Skurrilität nur so strotzen. Moers lässt seinem legendären überbordenden Einfallsreichtum und seiner ausschweifenden Fabulierkunst erneut freien Lauf und gibt seiner Anhängerschaft damit das, was sie liebt und erwarten. Obwohl auch ich mich zu ihr zähle, ist mir auch die eigentliche Handlung wichtig. In diesem Fall hätte ich mir durchaus ein paar weniger Abschweifungen gewünscht und stattdessen einer straffer geschnürten Handlung folgen wollen. Natürlich sind all seine kreativen Schöpfungen wieder großartig und erstaunlich, aber man kann wohl einen größeren Mehrwert aus alldem ziehen, wenn man selbst passionierter Inselurlauber ist oder Kuraufenthalt erlebt hat und alle Referenzen nachvollziehen kann. Auf mich trifft das nicht zu und deshalb war ich erfreut, als Mythenmetz den zweiten Leuchtturm aufsucht und überrascht feststellt, dass dieser eine verblüffende Ähnlichkeit mit seinem Heimatort, der Lindwurmfeste, hat. Mehr noch, er wird bewohnt vom Dichtpaten seines Dichtpatens und Autor des Erfolgsromans Ritter Hempel, niemand geringerem als Gryphius von Odenhobler,. Ab hier konnte mich die Geschichte auf einer tieferen Ebene in ihren Bann schlagen, obwohl sie weiterhin eher locker erzählt wird.. Gerne hätte ich immer noch auf manche Beschreibung und Abzweigung verzichten können (während andere mich ob ihres Einfallsreichtums verblüfften), aber endlich gab es einen Handlungsstrang an dem ich mich entlanghangeln konnte. Im Gegensatz zur meandernden, langsamen Erzählweise des übrigen Romans ist das spannende Finale fast schon actionreich zu nennen und wirkte damit wie eine erfrischende Brise und ein Ausrufezeichen.

Insgesamt weiß Moers wieder mit fantastischen Wortkreationen, Humor und Detailreichtum zu unterhalten. Letzterer hat aber zwei Seiten so wie jede gute Medaille. Einerseits machen seine verrückten Einfälle sehr viel Spaß und man kann sich sehr gut in die skurrile Inselwelt von Eyderdorn einfinden und versinken. Ja, der Roman bietet wunderschönen Eskapismus und wer kann den derzeit nicht gebrauchen? Andererseits scheint es, als sei ein bisschen mehr Kreativität und Energie in die Beschreibung der Insel und ihrer Bewohner geflossen statt in den eigentlichen Plot. Schade, aber vielleicht könnte man das sogar über einige von Moers Werken sagen und mal fällt es mehr, mal weniger negativ auf. Nichtsdestotrotz wird mir Die Insel der Tausend Leuchttürme aber insgesamt als witziger Ausflug in guter Erinnerung bleiben und ich warte auf das nächste Abenteuer von Mythenmetz und Moers, auf das wir hoffentlich nicht wieder so lange werden warten müssen.

Die Insel der Tausend Leuchttürme, Walter Moers, Penguin 2023.

4 wohlverdiente Schreibmaschinen

[Rezension] Zamonischer Snack

Der Bücherdrache

Der große Dichter Hildegunst von Mythenmetz trifft auf Hildegunst Zwei, den Buchling, der Mythenmetz‘ Werke auswendig lernt. Der kleine Buchling möchte erfahren, wie man eine Geschichte schreibt. Also lässt sein Vorbild ihn von seinem größten Erlebnis erzählen. Und so lesen wir von Hildegunst Zweis gefährlichem Abenteuer, das den Buchling aus der Ledernen Grotte durch die Katakomben in den Ormsumpf und zum legendären Bücherdrachen führte und einen geheimen Freundschaftsbund schmiedete.

Seit vielen Jahren wartet die ebenso große wie treue Fangemeinde von Walter Moers auf die Fortsetzung seines vor Fantasie überbordenden Romans Die Stadt der Träumenden Bücher. In der Zwischenzeit hält er sie mit Das Labyrinth der Träumenden Bücher, Prinzessin Insomnia und der alptraumfarbene Nachtmahr, Weihnachten auf der Lindwurmfeste und nun Der Bücherdrache bei Laune, was sie ihm danken, indem sie die Werke in den Stand von Bestsellern erheben. Und in gewissem Maße zu Recht, denn mit Zamonien hat Moers eine fantastische Welt erschaffen, der man immer wieder gerne einen Besuch abstattet. Sein Humor macht das Ganze zu einem kurzweiligen Lesevergnügen. Natürlich trifft das ebenso auf Der Bücherdrache zu. Doch wenn man die rosarote Brille und die Glückseligkeit, ein neues Werk von Moers lesen zu dürfen, ablegt, die lebendigen und fabelhaften Beschreibungen zur Seite schiebt, bleibt vom neuen Werk nicht vielmehr als eine dünne und vorhersehbare Kurzgeschichte. Und noch strenger besehen, besteht das Buch nur aus Gesprächen und einer Varianz von Schauplätzen, Spannung entsteht keine und das Erzähltempo ist mehr als gemächlich. Selbst die Zeichnungen wirken bekannt und sind nicht so ideenreich wie die früherer Zeiten. Ist es wirklich so oder ist der Reiz des Neuen einfach nur verflogen? Natürlich scheint immer wieder der typische feine Humor durch und die Geschichte ist gespickt mit literarischen Anspielungen, aber sie strotzt davon nicht Die Stadt der Träumenden Bücher. Der geringe Umfang kann nicht als Ausrede geltend gemacht werden, denn auch auf wenigen Seiten können fantasievolle Dinge Platz finden. Zwar scheint es, als solle Der Bücherdrache als Vorwort zu etwas Größerem dienen, aber es ist ungewiss, ob das wirklich so ist.

Selten fällt es so schwer, eine angemessene und ungetrübte Bewertung zu finden. Die grundsätzliche Begeisterung für Moers‘ Erfindungsreichtum und Humor, die er in früheren Werken so fulminant gezeigt hat, überträgt sich in gewissem Maß auf jedes seiner Werke. Man ist ihnen grundsätzlich wohlgesonnen. Andererseits werden sie an ihrem Vorgänger gemessen und fallen zusehends dagegen ab. Schon Weihnachten auf der Lindwurmfeste war ein zu dünnes und etwas zu ideenlos für einen Walter Moers. Leider setzt sich der Trend mit seinem neuen Buch fort. Nichtsdestotrotz ist es immer wieder interessant und entspannend Zamonien zu besuchen und man muss es einfach lieben. Schon allein aus alter Verbundenheit muss es einen Bewertungspunkt zusätzlich geben. Hoffentlich wird Moers‘ nächstes Werk wirklich wieder der große Wurf, auf den seine Fans schon so lange hoffen. Bis dahin bietet Der Bücherdrache eine wenig gehaltvolle, aber kurzweilige Zwischenmahlzeit.

Vielen Dank an den Penguin Verlag und das Bloggerportal, die ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt haben.

3/5 Schreibmaschinen

3Writer

Der Bücherdrache, Walter Moers, Penguin Verlag 2019.

[Rezension] Weihnachten mal völlig anders oder vielleicht auch nicht

Lindwurmfeste

In Zamonien existieren mindestens so viele rituelle Festlichkeiten wie Völker. Da kann man kaum erwarten, eine umfassenden Überblick über Borkenfest, Snörefiesten oder Hoawief zu erhalten. Doch wenigstens das wichtigste Fest der Lindwürmer angeht,  muss der geneigte Leser nicht länger im Dunkeln tappen. Im Briefwechsel zwischen dem berühmtesten Schriftsteller des Landes, Hildegunst von Mythenmetz und seinem alten Freund Hachmed Ben Kibitzer tauchte nämlich ein sehr aufschlussreiches Schriftstück auf. Darin erzählt Hildegunst von „Hamoulimepp“, das alljährlich über mehrere Tage gefeiert wird und seltsame Blüten auf der Lindwurmfeste treibt. Nicht immer ist der Verfasser mit dem Treiben einverstanden und immer wieder lassen sich frappierende Parallelen zum menschlichen Weihnachten nicht von der Hand weisen.

Walter Moers neues Werk ist nicht besonders umfangreich. Gerade einmal siebzig Seiten zählt die eigentliche Erzählung. Dazu kommen noch ungefähr dreißig Seiten mit Schautafeln und Erklärungen. Trotz des geringen Umfangs verströmt Weihnachten auf der Lindwurmfeste ein wohliges Gefühl. Das speist sich zum einen aus dem ganz eigenen Witz und der Fantasie des Autors. Es dauert zwar etwas bis das Ganze in Fahrt gerät, aber dann gibt es viele Stellen, die schmunzeln, lachen und wundern lassen. Die Parallelen zwischen Hamoulimepp und Weihnachten sind nett, sorgen aber eher nebensächlich für Freude. Da das aber auch gar nicht den Erwartungen an Moers entspricht, ist es völlig in Ordnung.
Für Zamonien-Fans ist es zum anderen herrlich, in bekannte und geliebte Gefilde zurückzukehren. Beides entschädigt völlig für die kleinen Stellen, an denen es knirscht.

Die Zeichnungen (von Lydia Rode) zu den verschiedenen Typen von Haustüren, Lindwurmschuppen oder Hamoulimepp-Bäumen sind leider wenig variantenreich und zeigen manchmal nur eine unterschiedliche Farbgebung. Außerdem wäre es schön gewesen, wenn mehr Illustrationen innerhalb des Textes für Abwechslung und Opulenz gesorgt hätten.
Textlich bzw. inhaltlich will sich irgendwie kein Sättigungsgefühl einstellen. Stattdessen ist es eher so, als müsse eigentlich noch mehr kommen. Tatsächlich kommt noch etwas ganz am Ende des Buches. Für manchen Fan ist es vermutlich sogar das eigentliche Highlight, obwohl es nichts mit Hamoulimepp zu tun hat.

Weihnachten auf der Lindwurmfeste bietet trotz kleiner Kritikpunkte einen weiteren fantastischen Einblick in die Welt von Zamonien. Es richtet sich vermutlich vor allem an die erwachsenen Fans von Walter Moers, deren Herz definitiv erwärmt werden wird. Andererseits ruft es geradezu danach, vorgelesen zu werden. Aber warum sollen sich Erwachsene nicht auch mal selbst oder gegenseitig eine amüsante und abwechslungsreiche Geschichte vorlesen?!

4/5 Schreibmaschinen

4Writer

Vielen Dank an den Penguin Verlag und das Bloggerportal für ein Rezensionsexemplar!

Walter Moers, Weihnachten auf der Lindwurmfeste, Penguin Verlag 2018.