[Serienkritik] Quicksand – Im Traum kannst du nicht lügen

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Maja sitzt in einer Blutlache, neben sich ein Gewehr. Ihr Lehrer Christer, ihr Freund Sebastian und ihre beste Freundin Amanda sind tot. Kurz darauf stürmt die Polizei das Klassenzimmer und verhaftet Maja.

Quicksand- Im Traum kannst du nicht lügen basiert auf dem gleichnamigen Roman von Malin Persson Giolito und ist die erste schwedische Eigenproduktion von Netflix.

In sechs Folgen begleiten die Zuschauer die achtzehnjährige Maja von der Verhaftung bis zur Urteilsverkündung. Auf dieser Zeitebene ist ihr Kenntnisstand identisch mit dem der jungen Frau. So erfahren beide z.B. nur über das Radio und Zeitungsschlagzeilen, was die Öffentlichkeit über Maja und die Tat denkt. Auf einer weiteren Ebene erinnert sie sich, wie ihre Beziehung zu Sebastian, dem Sohn aus reichem Haus, begann. Wie sie sich in seine Welt begab und es schließlich zu der verheerenden Tat kam.
Das Erzähltempo ist recht langsam, die Kamera bleibt stets sehr nah bei Maja. Großaufnahmen fangen jede ihrer Gefühlsregungen ein. Einerseits verdichtet all das die Beziehung zwischen ihnen und Maja und verstärkt die Identifikation mit ihr. Andererseits treten die Opfer, die Trauer der Familien und Majas eigene Familie in den Hintergrund. Hätte Quicksand sich die Aufgabe gestellt, alle Facetten eines Amoklaufs zu beleuchten, wäre das Unternehmen an dieser Stelle gescheitert. Doch das Verbrechen selbst steht gar nicht im Fokus, sondern die Frage, wie es dazu kommen konnte. Erzählt wird von den psychologischen Mechanismen, die hinter einer solchen Tat stehen können. So wird geschickt ein möglicher Vorwurf umgangen, den Amoklauf zu explizit oder gar sensationsgierig darzustellen. Majas Geschichte und damit die des Verbrechens wird gekonnt anhand vieler kleiner und größerer Momente aufgebaut. Viele wirken von außen harmlos oder werden vom Umfeld falsch eingeschätzt, was erklärt, warum ihre Mitmenschen Majas Nöte nicht erkennen. Sie sind blind für die Dynamik zwischen den zwei Jugendlichen, beeinflussen oder befeuern sie sogar unwissentlich. Vieles entpuppt sich zudem erst in der Rückschau als verhängnisvolles Puzzlestück. Zwar ist von Anfang an klar, dass Sebastian viele Probleme hat, aber erst nach und nach enthüllt sich auch den Zuschauern die verhängnisvolle Wechselwirkung der Teenager. Stellenweise ist es wirklich schockierend und macht sehr wütend, aber es ist wichtig, die Mechanismen derart toxischer Beziehungen offenzulegen, um Menschen in die Lage zu versetzen, sie auch in der Realität zu erkennen.
Darüber hinaus werden viele gesellschaftlich relevante Themen angeschnitten. Die innere Leere, die durch Reichtum überdeckt aber nicht gefüllt werden kann, Rassismus, die Schwierigkeit in einem neuen Land Fuß zu fassen, Familien, die von außen bewundert werden, aber von Lieblosigkeit und gegenseitiger Ablehnung geprägt sind, jugendliche Unsicherheiten, Gruppendynamik etc.

Während Maja eine behütete Tochter ist, wird Sebastian von seinem Vater Claes vernachlässigt und missachtet. Er kämpft mit schweren psychischen Problemen, die er ungefiltert an seiner Umwelt auslässt. Letzteres macht ihn nicht zu einem Sympathieträger. Auch wenn verständlich wird, dass er unter der Ignoranz seines Vaters leidet, ist es irgendwann auch Claes Haltung. Jede Figur und ihr Verhalten ist in sich stimmig.
Die Schauspielriege ist perfekt besetzt und spielt sehr überzeugend. Führend ist natürlich Hanna Ardéhn, mit der die Qualität und Glaubwürdigkeit der Serie steht und fällt. Sie stellt jede Gefühlsregung ihrer Figur so intensiv und echt dar, dass selbst Majas schlechten Entscheidungen schlüssig wirken.

Doch es gibt auch Kritikpunkte.

Im Vergleich zu Maja bleiben die übrigen Figuren oberflächlich. Selbst Sebastian werden nur wenige Charaktereigenschaften zu erkannt. Er wird vor allem über sein Elternhaus und seine psychischen Probleme definiert. Ansonsten erhalten lediglich Claes, Amanda und der an Maja interessierte Mitschüler Samir mehr Raum und Bedeutung, werden aber ebenfalls relativ nichtssagend charakterisiert. Möglicherweise soll genau das Majas fortschreitende Isolation verdeutlichen, wirkt aber zu blutleer.

Die subtile Darstellung führt dazu, dass vieles nicht ausreichend hergeleitet wird. Zum Beispiel gibt es eine sehr drastische Aktion von Sebastian, die aber keinen entsprechenden Bruch in Majas Verhalten nach sich zieht. Einerseits soll das wohl zeigen, wie stark sie psychisch angeschlagen ist und schon fern jeglichen rationalen Denkens. Andererseits handelt es sich um eine so fundamentale Sache, dass es besser erklärt werden müsste, warum Maja daraus keine Konsequenzen zieht.

Ferner bleibt im Dunkeln, warum ausgerechnet Mitschüler und Lehrer umgebracht werden sollten. Warum fällt die Wahl auf die Schule und nicht die nächste Einkaufspassage? Die Konflikte mit Lehrern und Mitschülern werden nicht genug herausgearbeitet. Da so eine Tat vorbereitet werden muss, kann es sich kaum um eine spontane Entscheidung handeln. Natürlich lässt sich spekulieren, aber es bleibt der Eindruck, als hätten es sich die Macher stellenweise zu einfach gemacht.

Die Geschichte und ihre Bilder lassen eine starke, konzentrierte Atmosphäre entstehen und nicht zuletzt einen Sog, dem sich die Zuschauer nicht entziehen können. Vielmehr als durch vordergründige Schockeffekte möglich wäre, kriecht die Serie unter die Haut und wirkt über sich hinaus.

8/10 Tickets

8Tickets

Quicksand – Im Traum kannst du nicht lügen, Netflix 2018.

Der Artikel könnte als Werbung gewertet werden, enthält jedoch nur meine subjektive Meinung.

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