[Rezension] Emily St. John Mandel: Das Licht der letzten Tage

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Der Untergang der Welt ist der Beginn einer neuen.

Jeevan eilt dem Schauspieler Arthur zu Hilfe, der auf der Bühne während des „King Lear“ zusammengebrochen ist. Er kommt zu spät. Arthur stirbt und im Rückblick hat Jeevan den Eindruck als markiere dieser Moment einen Wendepunkt. Nicht nur für ihn sondern für die Menschheit. Denn noch am selben Abend bricht eine Pandemie aus, die das Leben vollkommen aus den Angeln hebt. Millionen von Menschen sterben und die Überlebenden müssen sich in einer postapokalyptischen Welt zurechtfinden. Zu diesen Menschen gehören neben Jeevan, Arthurs Ex-Frauen Miranda, Elizabeth auch sein Freund Clark sowie Kirsten, die in „King Lear“ mitgewirkt hat.

Die Struktur von Das Licht der letzten Tage erinnert an ein Spinnennetz. Arthur befindet sich in seinem Zentrum. Die einzelnen Handlungsfäden nehmen dort ihren Ausgang, werden durch ihn beeinflusst und sind durch ihn verbunden. Jeder von ihnen verfolgt das Leben und die Gefühlswelt einer der Figuren. Die Pandemie liefert den Stoff aus dem die Fäden bestehen.

Es wird aus der Sicht der Figuren von ihrem Leben erzählt. Wie es vor der Pandemie gewesen ist, wie sie deren Ausbruch und den Zusammenbruch der Zivilisation erleben und von den Zuständen zwanzig Jahre später. Neben dieser globalen Umwälzung ist ihre jeweilige Beziehung zu Arthur die Schnittmenge, die alle Figuren eint. Genauso wie die Georgische Grippe hat auch er das Leben derer stark beeinflusst, die mit ihm in Kontakt kamen. Die geschickten Zeitsprünge, die Querverbindungen zwischen den Erzählsträngen und die spannenden, authentischen Charaktere verbinden sich langsam zu einem ebenso interessanten, vielteiligen Mosaik.

Hin und wieder schießt die Autorin ein wenig über das Ziel hinaus. Während des Lesens fällt das nicht so sehr auf, da noch nicht erkennbar ist, was schlussendlich wirklich von Belang sein wird. Doch nach Abschluss des Romans lässt sich manch überflüssige Kapriole ausmachen. Dies betrifft vor allem die Abschnitte, die Arthurs Leben und seine Perspektive beinhalten. Der Roman würde genauso gut ohne sie funktionieren. Die wiederkehrenden Bezüge auf die Lichtverhältnisse sind zwar symbolträchtig, wirken mit der Zeit jedoch aufdringlich. Die Idee eines Propheten wird stark aufgebaut, endet jedoch in einer Auflösung ohne großen Effekt. Andere interessante Spuren werden hingegen nicht verfolgt.

Doch die seltenen Kritikpunkte werden durch den wundervollen Stil der Autorin aufgewogen. Ihre Sprache besticht durch Leichtigkeit und treffsichere Formulierungen. Die Worte tragen den Leser schwerelos durch die tiefgründigen, bewegenden und mitunter schwermütigen Gefilde des Romans. Die Zeit vor, während und nach dem Ausbruch der Pandemie wird realistisch dargestellt. Der Realismus besteht nicht in besonders graphischen Beschreibungen der Krankheit oder des Überlebenskampfs Stattdessen kreiert Emily St. John Mandel eine ganz eigene Atmosphäre, in der die Ängste, Nöte und Empfindungen der Menschen erfahrbar werden, den Leser aber nicht bedrücken. Die Figuren sind glaubwürdig, werden mit ihren positiven und negativen Eigenschaften gezeigt.

Emily St. John Mandel hat eine andere Art von apokalyptischer Literatur geschaffen. Eine, die sich deutlich von den üblichen Genrevertretern abhebt. Es gelingt ihr dem Leser bewusst zu machen, welche Annehmlichkeiten und Möglichkeiten ihm zur Verfügung stehen und wie es für die Menschen wäre, wenn all dies von jetzt auf gleich wegbrechen würde. Der Roman baut nicht auf vordergründige Spannung. Vielmehr werden immer wieder interessante Köder ausgeworfen, deren Sinn sich erst später oder vielleicht auch gar nicht erschließt, die den Leser aber in einem Zustand der Neugier halten. Er weiß nicht, wie sich am Ende alles zusammenfügen wird. Welches Schicksal Jeevan, Miranda und die anderen, ja die gesamte Welt, erwartet. Doch eins steht fest, den Leser selbst erwartet eine besondere Geschichte, die ihn über die letzte Seite hinaus beschäftigen wird.

Diese Rezension ist im Rahmen einer Lesechallenge bei Lovelybooks entstanden. Vielen Dank an den Verlag für das Leseexemplar.

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Emily St. John Mandel, Das Licht der letzten Tage, Piper 2015.

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