[Rezension] Ursula von Kardorff: Berliner Aufzeichnungen aus den Jahren 1942-1945

Kardorff

Ursula von Kardorff berichtet in ihren Berliner Aufzeichnungen aus den Jahren 1942 bis 1945 von ihrem Leben während der letzten Kriegsjahre. Ihr Alltag im Nationalsozialismus, die Bombenangriffe, Verluste von Angehörigen und Freunden, ihre Gefühlswelt, die zwischen Ängsten und Lebenslust schwankt, werden anschaulich in Worte gefasst. Die Tochter des Malers Konrad von Kardorff schrieb in jener Zeit für das Feuilleton der Deutsche Allgemeine Zeitung, ihrem teilweise adeligen Freundes- und Bekanntenkreis gehörten auch einige der Offiziere an, die am Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 beteiligt waren. Demzufolge nehmen auch das Attentat und die folgenden Verhaftungen einen großen Raum in Kardorffs Notizen ein.
Obwohl sie in Form eines Tagebuchs erschienen sind, handelt es sich nicht um ein solches. Vielmehr hat die Autorin 1947 Tagebucheintragungen, Briefe und Notizen in Taschenkalendern nachträglich zusammengefügt. Der Eindruck wird dadurch jedoch nicht geschmälert. Wie bei einem authentischen Tagebuch wirken die Gefühle und Gedanken der Autorin auch unmittelbar auf die Leser. Es ist einfach, sich in sie hineinzuversetzen.
Da die Notizen Ursula Kardorffs unmittelbare Lebenswelt widerspiegeln, ist die Perspektive folglich beschränkt. Dies zeigt sich beispielsweise darin, dass es nur wenige Einträge zur Judenverfolgung gibt. Sie wird zwar erwähnt, aber eher auf einer allgemeinen als einer persönlichen Ebene. Befremdlich kann es ebenfalls auf heutige Leser wirken, wenn die Autorin die Behandlung der Juden während des NS-Regimes und die der Deutschen durch Alliierte nach dessen Zusammenbruch vergleicht. Doch auch in dem Fall muss stets daran gedacht werden, dass es die damalige Sicht der Autorin war, die sie vermutlich mit nicht wenigen Deutschen geteilt hat.

Sprachlich gewandt, zeigen Kardorffs Aufzeichnungen ebenso wie die von ihr zitierten Briefe ihrer Freunde und Familie eindrucksvoll, wieviel ausdrucksstärker es früher verstanden wurde,  seine Gedanken in Worte zu fassen und anderen schriftlich mitzuteilen.

Berliner Aufzeichnungen aus den Jahren 1942 – 1945 ermöglichen einen authentischen, spannenden sowie speziellen Blick auf die letzten Kriegsjahre und individuelle Erlebnisse.

4/5 Schreibmaschinen

4Writer

Ursula von Kardorff, Berliner Aufzeichnungen aus den Jahren 1942-1945, dtv 1997.

Die Rezension ist auch Teil der Blogchallenge Wider das Vergessen.

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