[Rezension] Rick Yancey: Das unendliche Meer

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Vier Wellen haben die außerirdischen Invasoren ausgelöst. Krankheit, Zerstörung und Tod brachten sie den Menschen. Nun gibt es nur noch wenige von ihnen und sie misstrauen sich und das zu Recht.
Die Gruppe um Cassie und ihren Bruder Sam hat es geschafft, sich nach den Ereignissen im Militärstützpunkt in ein Hotel zu flüchten. Dort warten sie auf Evan Walker, der zwar offiziell einer der Anderen ist, aber Cassie zuliebe die Seiten gewechselt hat. Das glaubt außer ihr aber eigentlich keiner der Gruppe. Daher schickt Ben Ringer hinaus, um einen sichereren Zufluchtsort zu finden. Doch sowohl im Hotel als auch auf Ringers Weg geht einiges schief.

Das unendliche Meer arbeitet wie jeder Roman auf zwei Ebenen. Die eine Ebene ist das Wort des Autors. Wie nähert er sich seiner Geschichte und ihren Bewohnern? Welche Mittel setzt er wann ein, um sein Werk zu erschaffen? Die zweite Ebene ist die Wirkung auf den Leser. Funktionieren die Sprachbilder, die Charaktere, der Plot? Sind sie glaubwürdig, klappt das Zusammenspiel, wirken sie homogen? Wird der Leser schließlich emotional involviert, weil sich die Geschichte ganz selbstverständlich entwickelt und in allen Facetten zum Leben erwacht, dann hat der Autor beide Ebenen zusammengebracht. Und dann handelt es sich um einen gelungenen Roman.

Zahlreiche Dialoge, Gedankengänge und vor allem ganz viel Action sollen ausreichend Spannung sicherstellen. Das gelingt jedoch nur vordergründig. Eine Weiterentwicklung der Geschichte bewirken sie nicht. Und Action bedeutet hier in erster Linie Gewalt, Kampf, Verletzungen, viel viel Blut und Tod. Es erinnert an einen durchschnittlichen Actionfilm mit wenig Handlung, in der ein „Held“ sich bis zum sehr blutigen Finale im wahrsten Sinne des Wortes durchschlägt. Die zigste Kampfszene langweilt dann doch irgendwie und verleitet dazu, die blutigen Details zu überspringen. Die Hoffnung auf eine interessante Wendung verhindert das, denn irgendwann muss sie ja auftauchen, oder? Einige Szenen wiederholen sich mit unterschiedlichen Blickwinkeln. Das trägt erwartungsgemäß ebenfalls nicht zur Spannung bei.

Der Autor „garniert“ die Brutalität mit intellektuellen Überlegungen seiner Figuren, viel Pathos und sinnreich wirkenden Wortschöpfungen. Das ist jedoch mehr Fassade als ein tragfähiges Fundament.
Das „unendliche Meer“ wird in verschiedenen Zusammenhängen erwähnt. Figuren fühlen sich wie in einem unendlichen Meer u.ä. Es handelt sich dabei um keine feststehende Bezeichnung, sondern sie wird variabel für unterschiedliche Gemütszustände eingesetzt. Daher wirkt es als solle damit der Titel gerechtfertigt werden und nicht als wäre das „Meer“ ein über sich hinausweisendes Symbol und deshalb Titelgeber. Das Bild von der „Welt als Uhr“ spielt ebenfalls immer wieder eine Rolle. Genauso wie Schach eine große Bedeutung für die Geschichte zu haben scheint und dementsprechend stark hervorgehoben wird. Doch hier höhlt der stete Tropfen nicht den Stein. Eher kann der Leser mit dem sprichwörtlichen Krug verglichen werden, der so lange zum Brunnen getragen wird bis er bricht. Er kapituliert vor der Monotonie und schwimmt in einem unendlichen Meer der Langeweile.
Auch der Autor badet und zwar in Stilmitteln. Anaphern, Epiphern, Wiederholungen, Antithesen und Chiasmen wie „Die Situation eskalierte schnell von irrsinnig gefährlich zu gefährlich irrsinnig.“ (S. 83) finden sich so zahlreich wie Quallen im Ozean. Ganz nach dem Motto: „Schaut mal, wie gut ich mein Werkzeug beherrsche.“ Allerdings ist das Repertoire beschränkt und wird durch stetige Wiederholung nicht faszinierender. Vielmehr führt es zu einem stakkatoartigen Erzählstil, der Lebendigkeit vermissen lässt. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass sich der Verfasser mehr an seinen eigenen Worten berauscht als im Sinne des Lesers zu denken.

Es gibt zwei maßgebliche Schauplätze und zwar das Hotel und später ein Krankenzimmer. Trotz mangelnder Abwechslung muss das nicht prinzipiell ein Manko sein. Hier erinnert es an ein Kammerspiel. Für ein packendes Kammerspiel zeigen die Charaktere allerdings zu wenig Dynamik und Sprengkraft untereinander. Vordergründig mag es so wirken, aber sie sind eher wie die im Roman erwähnten Schachfiguren. Sie wurden strategisch platziert, agieren dementsprechend in vorhersehbaren Grenzen, bleiben blass und eindimensional. Sie bewegen sich nie aus eigenem Antrieb, sondern allein durch den Willen des Spielers bzw. Autors. Selbstverständlich ist das grundsätzlich der Fall, aber ob es der Leser merkt, ist eine andere Sache.

Zwar wird berichtet wie es Ringer oder Poundcake während der Wellen ergangen ist und wie sie ihre Familien verloren haben, doch sind diese menschlich wirklich berührenden Szenen zu selten. Der größte Teil wird aus Cassies und, was neu ist, aus Ringers Blickwinkel erzählt. Beide fungieren in ihren Kapiteln als Ich-Erzähler, während über die anderen Gruppenmitglieder in der dritten Person berichtet wird. Im ersten Moment kann dies verwirren, lässt sich aber tolerieren. Cassie hat auf dem Weg zum Hotel all ihren ironischen Charme verloren und ist nur noch beseelt von Evan. Insgesamt ist ihr Herzschmerz für einen Leser, der keinen Liebesroman sondern eine düstere Zukunftsvision sucht, schwer erträglich. Vermutlich wird Liebe aber in einem größeren Zusammenhang noch eine Rolle spielen, und daher kann Yancey auf diesen Aspekt nicht einfach verzichten. Es gibt zwar ironische und sarkastische Kommentare, nicht nur von Cassie. Sie wirken aber eher wie eine Pflichtübung denn homogen. All das ist wiederum sehr überraschend, denn in Die fünfte Welle ist das Gegenteil der Fall.

Allenthalben stellen sich die Figuren die Frage mit der sich auch der Leser herumschlägt. Warum machen sich die Außerirdischen so viel Mühe mit den letzten Überlebenden und bringen sie nicht einfach um? Leider führt die Frage nicht zu mehr Klarheit. Es erinnert eher an die Strategie eines Schülers, der sich mit der Wiederholung derselben Zeit verschaffen will und hofft, dass ihm die richtige Antwort noch einfällt. So versucht auch Yancey davon abzulenken, dass er noch keine zufriedenstellende Erklärung für die Logikschwächen seiner Geschichte geben möchte oder kann.

Leider kann Das unendliche Meer die hohen, vom Vorgänger aufgestellten Maßstäbe in keiner Weise aufrechterhalten. Nicht nur aus der Literatur kennt man das Phänomen, dass ein zweiter Teil enttäuscht und teilweise überflüssig wirkt. Leider bestätigt Rick Yancey dieses mögliche Prinzip. Seine Fortsetzung von Die fünfte Welle scheint wie am Reißbrett entworfen. In der Theorie mag sein Schöpfer es für ein kunstvolles Meisterstück gehalten haben. Doch in der Praxis entwickelt sich die Geschichte zu wenig. Sie bleibt ebenso wie die Figuren und die Sprache starr und gekünstelt. Das geschriebene Wort und die Emotionen des Lesers finden nicht zusammen.

Ein Buch muss und soll nicht jeden begeistern. Ein einziger Leser ist ausreichend. Und offensichtlich finden viele Leser in Das unendliche Meer all ihre Erwartungen erfüllt.

Trotz einem tollen ersten Band, erhält Teil Zwei leider nur eine Schreibmaschine.

1Writer

Vielen Dank an den Verlag, der den Roman als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat.

Rick Yancey, Das unendliche Meer, Goldmann 2015. 

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